Deutsch Francais

5 - Hundert Semester

Melodie

Adolf Schlieben, 1885

  1. Als ich schlummernd lag heut Nacht,
    lockten süsse Träume,
    schimmernd in der Jugend Pracht,
    mich in ferne Räume.
    Krasses Füchslein sass ich schlank
    in der Kneipe wieder,
    und in vollem Chore klang
    laut das Lied der Lieder:

    Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus!
    post iucundam iuventutem, post molestam senectutem
    nos habebit humus.


  2. Tabakswolkenduft umkreist
    bläulich Rheinweinbecher;
    desto heller flammt der Geist
    in dem Haupt der Zecher.
    Füchs­lein fühlt im Weltenrund
    sich der Schöpfung Krone,
    und es singt mit keckem Mund
    und mit keckem Tone:

    Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere?
    Vadite ad superos, transite ad inferos.
    Ubi? Iam fuere.

  3. Jäh erwacht ich. - Glockenklar
    tönt' mir's in den Ohren:
    Heut sind's runde siebzig Jahr,
    seit du wardst geboren.
    Heut schon liegen hinter dir,
    der Semester hundert! -
    Hell rieb ich die Augen mir,
    summte still verwundert:

    Vita nostra bre­vis est, brevi finietur,
    venit mors velociter, rapit nos atro­ci­ter,
    nemini parcetur.

  4. Schnell vom Lager sprang ich auf,
    rief: Mir hat das Leben
    viel in seinem kurzen Lauf,
    Leid und Lust, gegeben.
    Sei verges­sen, was gedrückt
    mich mit Sorg und Plage;
    heut' ein Hoch dem, was beglückt'
    meine jungen Tage:

    Vivat aca­demia, vivant professores,
    vivat membrum quodlibet, vi­vant membra quaelibet,
    semper sint in flore!


  5. Goldne Burschenzeit entflog
    schnell - dass Gott er­bar­me!
    Le­dern Philisterium zog
    mich in dürre Arme.
    Doch philistern lernt' ich nicht,
    hoch, auf goldnen Schwingen,
    trug mich Lieb zum Himmelslicht,
    jubelnd durft' ich sin­gen:

    Vivant om­nes virgines, faciles formosae! 
    Vivant et mulieres, tene­rae, a­ma­biles,
    bonae laboriosae!

  6. Weib und Kinder an der Hand,
    freut' ich mich des Lebens;
    nütz­lich sein dem Vaterland,
    ward das Ziel des Strebens.
    Konn­te sich's zum Paradies
    auch nicht ganz gestalten,
    Treue, die ich ihm erwies,
    hat's mir doch gehalten.

    Vivat et res­publica et qui illam regit! 
    Vivat nostra civitas, maecenatum caritas,
    quae nos hic protegit.


  7. Im lateinschen Liede sang
    heut ich alter Knabe
    meines Lebens ganzen Gang
    von der Wieg zum Grabe;
    komme, wann du willst, Freund Hein,
    mich zur Ruh zu bringen;
    doch wie einst als Füchselein,
    will der Greis noch singen:

    Pereat tri­stitia, pereant osores,
    pereat diabolus, quivis anti­burschius,
    atque irrisore!

1885
Adolf Katsch (1828 - 1896)

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